Tränenmanufaktur
Und eh man sich versieht, sitzt man wieder in einem Krankenhaus und wartet darauf, dass sich eine Tür öffnet. Man malt sich aus, welchen Gesichtsausdruck die Ärztin tragen wird. Die Tränen können kaum noch gehalten werden, unter der Haut kribbelt die Unruhe und das Herz ist schwer und poltert in der Brust herum. Eine schwitzige Hand greift nach einer anderen und sucht Halt, den niemand geben kann. Die Zeit zieht sich und die Erde macht dieses nervenraubende Geräusch beim Drehen, eben weil sie sich ja langsamer dreht als sonst, natürlich aus purer Bosheit. Man malt sich das Schlimmste aus und weiß eigentlich gar nicht mehr, was das Schlimmste ist. Wohl die Nachricht, dass es zu Ende ist, dass man einen weiteren geliebten Menschen ab heute nur noch im Herzen trägt, dass man nach Hause gehen muss und einer Elfjährigen sagen muss, dass ihre Mama... ja was? Erlöst ist? Und dann weiß man wirklich nicht mehr, was das Schlimmste wäre. Vielleicht auch doch, wenn sie durchkäme? Wenn die Ärzte die Lunge retten könnten? Um in der nächsten Woche zu sehen, dass die Nieren versagen oder das Herz? Man liebt diesen Menschen so sehr, mehr fast als das eigene Leben, und man hält die Hand des anderen geliebten Menschen, der neben einem sitzt, noch etwas fester, erhöht den Druck, auch den auf die Tränendrüsen und lässt es irgendwann einfach laufen. Und dann weiß man, dass man dem anderen keine Hilfe ist. Aber manchmal ist gerade das eine Hilfe: gemeinsam verzweifeln, gemeinsam kurz ins Nichts schweben, gemeinsam den Druck ablassen, gemeinsam die Hoffnung kurz fahren lassen um sie gemeinsam wieder einzufangen, gemeinsam die Krankenhausgänge überfluten mit all seinen Sorgen und all den Tränen, die der Körper scheinbar mühelos nachproduziert.
m.mad - 18. Mär, 15:44